BELOVED REVIEWS | LESERSTIMMEN | DER STEINERNE GARTEN BD.1
18. Mai 2017
»Es fällt mir ungewohnt schwer, Worte zu finden, die dieser Geschichte und ihren Protagonisten gerecht werden können, vor allem durch den Verzicht auf Spoiler scheint mir das alles so oberflächlich und unzureichend, doch ich möchte einmal versuchen, dennoch meine Eindrücke wieder zu geben und dadurch ein wenig auf das Buch aufmerksam zu machen.
Wie immer verzichte ich auf eine Inhaltsangabe, denn mehr als im Klappentext steht, muss man auch nicht wissen, um ausreichend informiert zu sein, wovon die Geschichte handelt. Alles andere wird bereits schon früh so mitreißend und spannend erzählt, dass es gewiss sehr viel zielführender für den Leser ist, die Ereignisse selbstständig zu erforschen und sich von ihnen unvoreingenommen beeindrucken zu lassen.
Ich liebe Bücher, die zwischen den Zeilen so voller Geheimnisse und Tiefsinn stecken, dass man als Leser selbst noch lange nachdem man ein Buch zur Seite gelegt hat, damit beschäftigt ist über all die Dinge nachzudenken, die einerseits nicht gesagt werden können, um die Authentizität und Glaubwürdigkeit zu wahren und die gleichzeitig dennoch so offensichtlich sind und bemerkt werden wollen, dass einem gar nicht die Wahl bleibt. Auf jeden Fall hat man mehr davon, sich nur dann auf eine solche Geschichte einzulassen, wenn man auch bereit ist, zwischen den Zeilen zu lesen und sich auf die Emotionen der Protagonisten einzulassen, indem man beobachtet, analysiert, darüber nachdenkt.
Diese Geschichte hebt sich schon einmal dadurch von vielen anderen Büchern ab, dass sie unglaublich realistisch ist und ich die meiste Zeit das Gefühl hatte, nicht als Außenstehender die beiden Hauptpersonen zu beobachten, sondern als wäre ich selbst plötzlich Teil einer Parallelwelt geworden, der man sich nicht mehr entziehen konnte – und das beinhaltet eben auch eine große Fülle an sehr unbequemen und unerwarteten Handlungen, Emotionen und Persönlichkeitsstrukturen der Protagonisten. Ob man so viel Ehrlichkeit und Realität ertragen kann, muss jeder Leser für sich entscheiden.
Vordergründig ist das hier in der Tat keine Romanze, sondern viel eher die Möglichkeit den Hauptprotagonisten auf einem schmerzvollen, mitreißenden und beschwerlichen Weg zu sich selbst zu begleiten, durch all seine Schatten hindurch und je tiefer man in das Geschehen eintaucht, desto weniger bleibt man emotional als Leser davon verschont. Was für mich persönlich einer der Hauptgründe war, mir das Buch zu kaufen.
“Der steinerne Garten” ist eines der bemerkenswertesten Bücher, das ich je gelesen habe -besonders viele würde ich nicht als solches klassifizieren- und ich bin wieder einmal verblüfft, wie anspruchslos man werden kann, wenn man lang genug nicht derartige Juwelen in die Hände bekommt. Es ist mir schwer gefallen, das Buch aus der Hand zu legen und doch habe ich es immer wieder tun müssen, wenn mich wieder einmal eine der vielen eindrucksvollen Szenen so tief bewegt hat, dass ich ihr die nötige Wertschätzung geben wollte von mir entsprechend verarbeitet, reflektiert und anerkannt zu werden.
Allein handwerklich ist das Buch ein wahres Meisterwerk. Häufig empfinde ich Bücher, die sich sprachlich in dieser Hinsicht auf ähnliches Niveau begeben als ermüdend und steif, denn die Sprache geht dann oft auf Kosten der Dialoge, der Gefühlswelt oder der Dichte der Interaktionen zwischen den Protagonisten. Hier keineswegs. Trotz der beeindruckenden sprachlichen Perfektion ist die Geschichte völlig flüssig geschrieben und von erstaunlicher Lebendigkeit. Allein Nathanyels herausragender Eloquenz geschuldet sind die Dialoge schlichtweg mal kleinere, mal größere Meisterwerke und ich habe mich riesig über jeden von ihnen und jeden einzelnen Schlagabtausch gefreut.
Über den Prolog lernt der Leser kurz Nathanyel kennen. Das macht es einem viel einfacher möglich, sich auf ihn einzulassen und sein tiefgründiges, komplexes Wesen zu erfassen, denn man bekommt eine Ahnung davon, dass es bei ihm eine große Diskrepanz gibt zwischen dem was er zeigen kann und dem, wie es tatsächlich in ihm aussieht. Der Prolog ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass nichts so ist, wie es scheint.
Selbst ohne zu wissen was konkret mit ihm los ist, motiviert der Prolog, ständig zwischen den Zeilen zu lesen und auf sämtliche Anzeichen zu achten, damit er einem nicht fremd bleibt und man auch ihn im Laufe der Geschichte zu greifen bekommt, was für mich persönlich auch unheimlich spannend und komplex war und mich großartig unterhalten hat.
Erzählt wird die Geschichte schließlich vollständig aus Rileys Perspektive. Und sie auf diese Weise zu erleben ist nervenaufreibend und packend. Vom ersten Moment an konnte ich seine Verzweiflung, seine Unzufriedenheit, die Wut, den Schmerz, die Selbstverleugnung und seine tiefe, wenn auch völlig resignierte Sehnsucht nach Freiheit und sich selbst förmlich fühlen. Obwohl auch Riley sehr verschlossen ist und seine Selbstverleugnung wirklich allgegenwärtig, kann man aufgrund des detaillierten, wortbegabten und eindringlichen Erzählstils des Autors eine bewegende Fülle an Gefühlen nachempfinden, die Riley sich selbst gegenüber noch nicht eingestehen kann. Ich habe in jedem Moment nachfühlen können, wie sehr er leidet, wie ein brodelnder Vulkan, der unmittelbar vor dem Ausbruch steht, gleichzeitig wirkt er so gebrochen, dass man Angst um ihn hat und jede von Nathanyels Demütigungen einen selbst innerlich zusammen zucken lässt, weil so offensichtlich ist, das Riley längst an dem Punkt angekommen ist, an dem er keine weiteren Schmerzen mehr ertragen kann. Und genau das macht es mir unmöglich, ihm die vielen Fehler, die er selbst an Nathanyel begeht, vorzuwerfen. Vor allem mit seiner brutalen Vergangenheit konfrontiert zu werden, hat mich emotional ziemlich mitgerissen. Ich habe mich als unbeteiligter Leser häufig so hilflos und bestürzt gefühlt, weil es einem nicht möglich war Riley zu helfen. Sei es um seiner selbst Willen oder damit er sich Nathanyels Verhalten nicht länger so sehr zu Herzen nimmt und vor allem natürlich auch erkennt, wie er mit ihm umgehen muss, um die beiden voreinander zu schützen.
Es hat mir unheimlich gut gefallen, dass man als Leser immer die Möglichkeit hatte, Riley auf seinem Entwicklingsstand zu begleiten und ihm nicht Schritte voraus zu sein, so dass ich nie das Bedürfnis hatte, mich (in meiner objektiven Rolle) über ihn zu erheben und mich klüger oder bewusster zu fühlen. Dafür beherrscht der Autor es einfach zu perfekt, den Leser intensiv und dramatisch an Rileys Gefühlen teilhaben zu lassen.
Jayden V. Reeves geht hier erstaunlich verantwortungsbewusst mit schwierigen und deswegen so mutigen Themen um und beeindruckt mit dem gekonnten Einsatz von Fachwissen.
Ich finde kaum Worte um die sich entwickelnde Symbiose zwischen Riley und Nathanyel zu beschreiben. Das alles ist so unfassbar intensiv, fragil und traurig, zwischen den auf jeder Ebene gewaltsamen und erschütternden Extremen gibt es auch so zerbrechliche, zutiefst bewegende, zarte und beinahe romantische/zärtliche Augenblicke, die gleichzeitig von einer Trauer/einem Schmerz durchzogen sind, was kaum angemessen in Worte zu fassen ist. Da sind beispielsweise einzelne körperlich intime Momente, die ich in einer derartigen Authentizität selten gelesen habe. Sei es nun Rileys verzweifelte Sehnsucht oder Nathanyels scheues Vertrauen.
Obwohl die beiden auf den ersten Blick völlig verschieden sind und man sich fragen könnte, wie es überhaupt möglich ist, dass zwei so verschiedene Menschen, die kein bisschen zueinander passen, Gefallen einander finden, hatte ich mit zunehmendem Voranschreiten der Geschichte immer mehr das Gefühl, dass die beiden einander eigentlich unglaublich ähnlich sind und ihre Wunden sie füreinander kompatibel machen. Hat man anfangs vielleicht noch den Eindruck, ihre Begegnung könnte lediglich der Auslöser für eine Tragödie sein und hätte nie passieren dürfen, wird später immer deutlicher wie wertvoll sie füreinander sind, weil sie den Schlüssel für das Gefängnis des anderen besitzen und einander im Verlauf der Geschichte ergreifend viel schenken. Was weitgehend über Extreme geschieht und mit einer ständigen, tragischen Diskrepanz zwischen dem was gefühlt und dem was gesagt/getan wird.
Erwähnt sei außerdem ein anspruchsvoller, nicht einfach zu durchschauender Krimiplot, der sich mit sparsam dosierten Informationen Stück für Stück zu etwas Greifbarem zusammen fügt, auch wenn der erste Band noch viele Fragen offen lässt. Ich warte sehnsüchtig und geduldig auf die Fortsetzung und bin mir sicher, bis es so weit ist, werde ich dieses Buch noch öfter lesen und freue mich auf viele weitere Details, die mir gewiss nach und nach bewusst werden.«
© Harpare am 18. Mai 2017