NEWS | 2024-09-01
Jede Woche gibt’s einen weiteren Post auf meiner Autorenseite auf Facebook unter dem Hashtag #bookopoly. Dort könnt Ihr auch die Beiträge der anderen Autor:innen entdecken. ^^
»Für dich wurde eine 4 gewürfelt. Das bringt dich in die Geheimnisstraße.
Dieses Feld beinhaltet folgende Aufgabe:
Poste eine Stelle aus einem deiner Bücher, an der etwas Geheimnisvolles, Mystisches oder gar Übersinnliches passiert. Wahlweise kannst du uns auch ein Geheimnis über einen deiner Protagonisten erzählen, bzw. eine Stelle posten, an der es um ein Geheimnis geht.«
Ich habe seit Irvins Post, den ich im Übrigen sehr gespannt erwartet habe, lange überlegt, welche Stelle aus meinen Geschichten passen könnte, da ich nichts Mystisches oder Übernatürliches schreibe. Mir sagt Fantasy als Genre einfach nicht zu – und wenn ich mich nun frage, wer in meiner Geschichte am ehesten geheimnisvoll ist, wäre das vermutlich Nate – aber ich kann ja schlecht sämtliche Szenen mit ihm posten. Ich habe daher schon befürchtet, ich müsse aussetzen – und dies gleich zu Anfang – was mir absolut nicht gepasst hätte, aber dann ist mir doch eine ›geheimnisvolle‹ Szene eingefallen ^^.
Ich poste eine Stelle aus dem Prolog von ›Die Scherben seiner Seele‹. Ich schreibe meine Pro- und Epiloge in dieser Dilogie in der Ich-Erzählform und in Präsenz. Etwas untypisches für mich, da ich den Hauptstrang der Geschichte niemals so schreiben würde. Ich präferiere die Dritte Person und die Vergangenheit, aber meine Pro- und Epiloge funktionieren anders.
Es handelt sich hier um eine Nah-Tod-Erfahrung bzw. eine Begegnung mit dem Tod an sich. Beklemmend. Das war sie auch für mich. Und doch berührend, wer die Vorgeschichte dazu kennt …
- Leseprobe
Wir sollten gehen.« Lees Gesicht ist ernst geworden. »Lass ihn nicht zu lange warten.« Sein Blick huscht zur verschlossenen Tür. Auch er hat den Schrei gehört.
Wärme sickert durch meine Finger hindurch. Die sonst so sprudelnde Quelle meiner Sprache ist versiegt. Ich finde keine Worte mehr.
»Komm«, fordert Lee mich auf. »Rede mit ihm. Das wolltest du doch immer.«
REDE MIT IHM.
Ich drehe mich um und schaue ebenfalls zur Tür. Die Überraschung bleibt aus, als ich bemerke, dass diese nun geöffnet ist. Das Tageslicht ist der Dunkelheit gewichen.
Nur noch schwach registriere ich das Pulsieren meiner Halsschlagader und wie in Trance betrachte ich das warme flüssige Rot, welches mir jetzt von den Fingern tropft. Dann höre ich eine Stimme meinen Namen sagen. Ich hebe den Kopf. Im schwarzen Spalt sehe ich einen jungen Mann stehen. Er ist älter als wir, vielleicht Mitte zwanzig. Aus seiner Nase läuft Blut; seine gesamte Kleidung ist davon besudelt. Ich mustere sein Gesicht und große, tiefblaue Augen suchen die meinen, gewillt mich zu halten. Vergeblich bemühe ich mich, seinen Namen mit den Lippen zu formen. Er ist mir geläufig, jedoch entfallen. Ich strecke die Hand aus, will ihn ergreifen, aus irgendeinem mir nicht verständlichen Grunde festhalten, stattdessen lange ich ins Leere.
Das Bild der toten Fliege schiebt sich vor mein inneres Auge. Ich sehe ihre sich zersetzende, verlassene Hülle.
»Komm schon …« vernehme ich Lees flüsternde Stimme nah und ungeduldig an meinem Ohr. Als er mich berührt, schießt mir ein Kribbeln den Arm hinauf und nimmt gänzlich von mir Besitz. Ich merke, wie das Licht gleich einem hungernden Freudenfeuer in mir zu wachsen beginnt.
KOMM …
Lee wendet sich ab und zieht mich hinter sich her; ich kann beobachten, wie seine Konturen bereits verwischen und immer undeutlicher werden.
Jemand ruft nach meinem Bruder. Ein Hauch von Misstrauen keimt in mir auf und ich werfe zögernd einen Blick zurück.
WAS HAST DU GETAN?
Mein Bruder … mein Bruder …
Der Schmerz an meiner Halsschlagader ist jetzt nicht mehr auszuhalten.
Mein Bruder …
Überrascht weiten sich meine Augen, eine Sekunde später verliere ich die Orientierung. Den Schock der Erkenntnis; ich lasse ihn zurück. Streife ihn katatonisch von mir ab.
REDE MIT IHM. DAS WOLLTEST DU DOCH IMMER.
Kein Wasser, keine Luft, keine feste Materie umgibt mich, als der Sog mich erfasst und mit sich reißt. Die Symphonie des Schmerzes wird leiser, verblasst zu einem zarten Glockenspiel; lang anhaltende Töne, träge ausgeführt, die schließlich verstummen und sich in eine angenehme Ruhe betten. Ich schwimme in der Unendlichkeit. Sanft wird mir genommen, was ich einst zu schätzen wusste. All meine Sinne, all meine Gedanken, all mein Sein.
JETZT WIRD ER MIT DIR SPRECHEN.
Ich leiste keinen Widerstand mehr, starr und gebannt lausche ich auf die Antworten meiner Fragen. Funken steigen auf, schenken dem schwachen Schein der Umgebung kühlen Glanz. Verwunderung erscheint mir fremd, willenlos lasse ich ihn gewähren. Meine irdische Hülle, losgelöst von meinem inneren Selbst, geht mit jeder Schwingung mit, gleitet leicht dahin, unbeschwert und befreit. Zur Auflösung bestimmt. Die Funken nehmen zu, steigen rascher aufwärts und gewinnen an Helligkeit. Gleißendes Licht umgibt mich, als ich fortgewirbelt werde.
Meine Lungen füllen sich langsamer. Ich atme ein und aus. Ein … und aus. Aus.
© Jayden V. Reeves
Prolog; Die Scherben seiner Seele Bd. 2
Content-Notes: verbale, körperliche, stumpfe und sexuelle Gewalt (u.a. gegen Minderjährige); detaillierte Gewaltbeschreibungen; Homo- & Bisexualität, Traumatisierung; Benzodiazepin-Missbrauch; Depression; Suizidversuch; Verwahrlosung; selbstverletzendes Verhalten; Panik-Attacken; Queer-Feindlichkeit; Homophobie; Polizei; detaillierte Sex-Szenen; sexuelle Handlungen unter Adoptiv-Geschwistern; Schusswaffen; organisiertes Verbrechen; Entführung; Mord; Tod; Hochbegabung; Diskriminierung; Prostitution; Autismus.